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Nachrichten

28.06.2015

Walter-Hävernick-Preis 2015 an Stefan Roth verliehen

Ralf Wiechmann: Laudatio auf Stefan Roth, Walter-Hävernick-Preis 2015
Die Nachwuchsstiftung der Numismatischen Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland verleiht jedes Jahr den Walter-Hävernick-Preis. Der Preis soll die Weiterentwicklung der numismatischen Forschung in Deutschland unterstützen und zeichnet eine hervorragende Arbeit einer Nachwuchswissenschaftlerin bzw. eines Nachwuchswissenschaftlers aus. Grundlage für die Auszeichnung soll ein beispielhaftes Werk bilden, das wissenschaftliches Neuland erschließt, über die Fachgrenzen hinaus wirkt und in seiner sprachlichen Gestaltung vorbildhaft ist. Der Walter-Hävernick-Preis 2015 geht an Herrn Stefan Roth, der für seine Dissertation mit dem Thema „Geldgeschichte und Münzpolitik im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg im Spätmittelalter“ ausgezeichnet wird.
Stefan Roths Lebensweg zeigt keinen ganz klassischen Verlauf. Geboren am 28. September 1975 in Kassel, schloss er die Schule 1992 zunächst mit der Mittleren Reife ab. Es folgte eine Ausbildung zum Bankkaufmann bis zum Jahr 1995. Im selben Jahr absolvierte er seinen Grundwehrdienst als Sanitäter, den er bis 1997 verlängerte und der einen Auslandseinsatz in Kroatien einschloss. 1997 arbeitete er als Sachbearbeiter bei der Stadt-und Kreissparkasse Göttingen, zwischen 1998 und 2001 wiederum als Personalsachbearbeiter bei der Bundeswehr. Schon seit 1999 hatte er sich dazu entschlossen, am Abendgymnasium Kassel das Abitur nachzuholen. 2002 erlangte er die Allgemeine Hochschulreife und begann mit dem Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, der Historischen Hilfswissenschaften (Schwerpunkt Numismatik) und der Deutschen Philologie (Schwerpunkt Mediävistik). Er schloss das Studium 2009 als Magister Artium ab, begann aber sogleich mit einer Promotion mit eben dem Titel „Geldgeschichte und Münzpolitik im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg im Spätmittelalter“. Die Dissertationsschrift liegt bereits vor, das eigentliche Rigorosum steht allerdings noch aus. Schon während seines Promotionsverfahrens, nämlich seit Mitte 2011 begann Stefan Roth als Sachbearbeiter der Münzsammlung des städtischen Museums Göttingen tätig zu sein.
Im Zentrum der hier ausgezeichneten Arbeit steht die spätmittelalterliche Geldgeschichte und Münzpolitik der Herzöge und Städte im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Die umfangreiche Schrift gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit der geldgeschichtlichen Entwicklung und der damit verbundenen Münzpolitik in den verschiedenen Städten des Herzogtums. Der zeitliche Rahmen wird dabei einerseits durch die Gründung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg im Jahr 1235 und andererseits durch den Übergang zur Großsilberprägung in Lüneburg im Jahr 1502 bzw. durch den Hildesheimer Vertrag aus dem Jahr 1501 begrenzt, in dem sich Bischof Bertold von Hildesheim, die Herzöge Heinrich und Erich von Braunschweig-Lüneburg sowie die Vertreter der Städte Braunschweig, Hildesheim, Göttingen, Hannover, Einbeck und Northeim auf den gemeinsamen Münzfuß bei der Groschenprägung einigten.
Den einzelnen Städten und Fürstentümern widmet Roth einzelne Kapitel und ermöglicht dem Leser nicht nur die Münz- und Geldgeschichte im Detail zu erfassen, sondern darüber hinaus in der vergleichenden Darstellung Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen. So werden in einer reflektierten und methodisch sauberen Arbeitsweise die spezifischen Währungsverhältnisse erläutert, Münzverträge, Valvationen und Probationen dargestellt, das Problem des fremden und des jeweils städtischen Geldes sowie Münz- und Wechselrecht beleuchtet. Darüber hinaus werden die Verträge mit den jeweiligen Münzmeistern, die Ausstattung der Münzhäuser, die Stempelherstellung und die damit verbundenen Kosten sowie der Prägevorgang beschrieben. Ein besonderes Kapitel ist jeweils den Silberbarren vorbehalten, die in ihrer Funktion als Großsilbergeld ein historisch besonders interessantes Phänomen in diesem Bereich darstellen. Da Lüneburg zugleich Mitglied des Wendischen Münzvereins war, reichen die Analysen bis in die Münzpolitik der wendischen Städte. Hingewiesen sei exemplarisch auf die wichtige Feststellung, dass sich die Städte Lübeck, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Lüneburg im Jahr 1403 darauf einigten, zukünftig die Münzstempel der sechs Städte ausschließlich in Lübeck zu schneiden und kein Münzmeister, Wechsler, Goldschmied oder irgendeine andere Person Münzeisen herstellen durfte.
Bemerkenswert ist die konsequente Verbindung von Schriftquellen und ausgeprägten Münzen. Im Einzelfall ließen sich dabei bemerkenswerte Diskrepanzen zwischen den in den schriftlichen Quellen belegten Geprägen und den erhaltenen Münzen nachweisen. So wird beispielsweise im Schichtbuch zum Jahr 1469/1470 erwähnt, dass man in Gandersheim Hohlpfennige und zweiseitige Pfennige schlug. Die geprägten Groschen sollten den gleichen Wert haben wie die Göttinger und Hildesheimer Sechslinge. Auch sollten sie drei Braunschweiger Pfennigen entsprechen, stattdessen hatten sie jedoch nur einen Wert von zwei Pfennigen. Daraufhin wurden die Groschen verboten. Die Bürger mussten sogar einen Eid schwören, solche Münzen weder anzunehmen noch auszugeben. Die in dieser Quelle genau beschriebenen Groschen und Hohlpfennige sind bislang jedoch nicht nachweisbar.
Ein anderes Beispiel zeigt ebenfalls das Auseinanderklaffen von geplanter und tatsächlicher Münzprägung. Im Jahr 1406 sollten in Braunschweig Schowelpfennige mit einem bestimmten Raugewicht geprägt werden. Als Schowelpfennige bezeichnet man ansehnliche Pfennige, die besonders schwer und schön waren, und als erste Neuprägungen nach der Münzverrufung noch nicht durch die allmähliche Geldentwertung an Wert verloren hatten. Zugleich dienten sie teilweise als Ehrengeschenk an Ratsherren und Ratsverwandte. 1406 wurden zwei Portionen Schowelpfennige mit unterschiedlichem Raugewicht geprägt. Das Ergebnis entsprach mit 28 Schillingen (= 328 Pfennige) dem der Planung. Dagegen hielt man sich bei den übrigen Pfennigen nicht an den ursprünglichen Entwurf. Insgesamt wurden weniger Pfennige mit einem stärkeren Abfall des Raugewichtes geschlagen, statt den geplanten 857.700 wurden nur 707.480 Pfennige geprägt. Diese hatten allerdings mit 0,595 g ein höheres Durchschnittsgewicht, als es mit 0,588 g in der Planung vorgesehen war. Eine große Differenz zwischen Konzeption und tatsächlicher Münzprägung gab es auch bei den Okelpfennigen, Scherfen und Vierlingen.
Somit werden in der Studie nicht nur die regionale und überregionale Münzpolitik und Geldgeschichte untersucht, sondern auch viele interessante Details zur Münzprägung aufgezeigt. Um den eigentlichen Text nicht zu überfrachten, wurden viele Daten in die Anlagen verschoben. Dort finden sich, meist in komprimierter extrahierter Tabellenform, die aus den häufig weit verstreuten schriftlichen Quellen stammenden Angaben zu den Münzmeistern, den Prägezahlen oder auch den Erträgen aus der Münze. Zehn bislang unedierte Urkunden zu Münzrechtsverleihungen und Münzfußbestimmungen runden den ausführlichen, aber gut strukturierten Anlagenteil ab.
Der zweite Teil der Dissertation besteht aus einem Katalog der Münztypen, der Barrenstempeltypen und Gegenstempeltypen. Bei den Münzen werden die herzoglichen Gemeinschaftsprägung in Braunschweig, die Münzen der Herzöge von Braunschweig-Göttingen, die Münzen der Herzöge von Braunschweig-Calenberg, die Prägungen der Herzöge von Sachsen im Fürstentum Lüneburg, die Münzen der Städte Braunschweig, Einbeck, Göttingen, Hameln, Lüneburg, Northeim sowie der Stände und der Stadt Hannover typenmäßig aufgelistet. Der größte Teil nimmt daneben der immerhin 475 Nummern umfassende Katalog der bearbeiteten Münzfunde ein. Es werden alle bekannten Münzfunde ausgewertet, die Münzen enthalten, die zwischen der Gründung des Herzogtums im Jahr 1235 und dem Hildesheimer Vertrag im Jahr 1501 in den Grenzen des Herzogtums geprägt wurden. Damit schließt die Analyse eine große Lücke in der norddeutschen Münzfunderforschung.
Eigentlich hätten die ersten beiden Teile für eine hervorragende Dissertation schon ausgereicht. Aber die Arbeit enthält noch einen dritten Teil, in dem drei Rechnungsbücher der Braunschweiger Münze sowie eine Handschrift zum Silberankauf in der Münze vollständig ediert werden. Neben den Urkunden, die Auskunft über die rechtlichen Grundlagen für die Münzprägung geben, lassen sich anhand der Rechnungsbücher der Prägeumfang, der tatsächliche Münzfuß und die Organisation des Münzwesens erforschen. Vor allem die ersten beiden Handschriften für den Zeitraum 1403 bis 1409 und 1410 bis 1444 geben darüber hinaus Auskunft über viele Personen und Institutionen in der Stadt Braunschweig und im ganzen Herzogtum. Das dritte Rechnungsbuch, das den Zeitraum 1499 bis 1501 abdeckt, hat für das Münzwesen der Stadt Braunschweig eine große Bedeutung, weil die Stadt in dieser Zeit ihre ersten Groschen prägen ließ. Wie in den anderen Rechnungsbüchern lässt sich hier der Silberankauf, das Schmelzen und Legieren des Silbers, die Münzprägung und die Abrechnung mit den Münzmeistern erschließen. Die Handschrift über den Silberankauf des Jahres 1499 ergänzt die Rechnungsbücher. Der Editionsteil wird durch ein Namensregister erschlossen und enthält einen Vorspann, der eine formale Beschreibung der Handschriften enthält, sich mit den Schreibern der Handschrift beschäftigt und die verwendeten Währungsangaben und ihre Bedeutung aufschlüsselt. Damit gebührt Stefan Roth der Verdienst, diese einzigartigen historischen Quellen der Allgemeinheit zugänglich gemacht zu haben.
Alle drei Teile der Dissertation bestechen durch eine Fülle interessanter Einzelbeobachtungen und Details. Roth erweist sich dabei als sattelfest in verschiedenen Disziplinen. Wer in dieser Weise die numismatischen Quellen in Kontexte stellt, hat nach Auffassung der Numismatischen Kommission eine preiswürdige Arbeit verfasst. Über eine Arbeit von dem Umfang der Dissertation von Herr Roth ließe sich natürlich noch viel mehr berichten. Zusammenfassend lässt sich sagen: Herr Roth hat das Thema umfassend aufgearbeitet. Klarer Aufbau, flüssiger Stil, wissenschaftliche Präzision und eine sehr gute Sichtung und Auswertung der Quellen zeichnen seine Arbeit aus. Herausragend sind die Synopse und die Synthese von Schriftquellen mit den numismatischen Zeugnissen, die hier beispielhaft vorgenommen wurden. Die Dissertation ermöglicht es dem Numismatiker, dem Historiker, dem Archäologen, aber auch dem versierten Sammler die Währungspolitik hinter den Prägungen zu erkennen sowie verlässliche und präzise Informationen zu diesem Themenfeld zu erhalten. Stefan Roth hat durch seine interdisziplinäre Herangehensweise mustergültig aufgezeigt, wie die Quellen einzusetzen und zu nutzen sind, und das Optimum an wissenschaftlicher Aussage erzielt. Mit ungeheurem Fleiß hat der Autor alle greifbaren Quellen gesammelt und ausgewertet. Er beweist damit, wie wichtig die Einbeziehung der Archivalien ist, um zu Aussagen zum Geldumlauf zu kommen. Zugleich ist die Arbeit ein implizites Plädoyer dafür, in der Numismatik die archivalischen Quellen genauso wichtig zu nehmen, wie die Münzen. Es ist zu hoffen, dass die Dissertation möglichst bald gedruckt werden kann und der Wissenschaft wie der Sammlerschaft zugänglich wird. Mit ihren vielen gut nachvollziehbaren, weiterführenden Ergebnissen wird sie sicherlich die wissenschaftliche Numismatik befördern und die ihr zustehende Anerkennung erfahren.
Die Numismatische Kommission der Länder der Bundesrepublik Deutschland wünscht dem Preisträger des Walter Hävernick-Preises für 2015 viel Erfolg für seinen weiteren akademischen Werdegang und allzeit einen offenen Blick auf die vielen Themen an der Schnittstelle zwischen Numismatik und Geldgeschichte.