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Publikationen

17.11.2016

Johannes Nollé: Laudatio zum Walter Hävernick-Preis 2016 für Simone Killen

Verehrte Preisträgerin, meine Damen und Herren,

der Walter Hävernick-Preis wurde von der Numismatischen Kommission der Länder zum ersten Male im Jahre 2012 verliehen. Mit ihm sollen exzellente Arbeiten von Nachwuchswissen­schaftlern auf dem Gebiet der Numismatik aus­gezeichnet werden.

In dem Jahr, in dem Ihre Arbeit, liebe Frau Killen, der Jury vorlag, standen zwei herausragende Forschungsarbeiten in Konkurrenz, die auf den ersten und auch auf den zweiten Blick beide für die Verleihung des Preises in Frage kamen. Dass die Jury schließlich Ihren Forschungen den Vorrang zuerkannt hat und Ihnen den Preis zugesprochen hat, zeigt, wie exzellent Ihre Arbeit ist. Für den weniger glücklichen Konkurrenten ist es in diesem Fall keine Schande, unter­legen zu sein.

Frau Killen erhält den Walter Hävernick-Preis für ihre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster verfasste Dissertation. Der Titel dieser Arbeit lautet «Parasema. Offizielle Symbole griechischer Poleis und Bundesstaaten», und ich darf verraten, dass sie dafür mit ‹summa cum laude› promoviert wurde. Die Qualität ihrer Arbeit war bereits von dem Münsteraner Doktorvater und dem zuständigen Dissertations­ausschuss erkannt und anerkannt worden.

Frau Killens Kernkompetenz ist die Archäologie; sie hat aber in Münster auch Lateinische Philologie und Alte Geschichte studiert, d.h. sie beherrscht auch andere wichtige Teilgebiete der klassischen Altertumswissenschaften, was dieser Arbeit deutlich anzumerken ist. Ihr Lehrer und Doktorvater ist Dieter Salzmann, der allen Numismatikern durch seine For­schungen zur antiken Münz- und Geldgeschichte aus archäologischer Per­spektive bestens bekannt ist. Die deutsche Numismatik hat ihm die Ausbildung mehrerer seiner Schüler in dieser schwierigen Disziplin zu danken; ich erwähne nur Katharina Martin, die vor drei Jahren ein ebenfalls exzellentes Buch über die Dar­stellungen von Bule, Demos und Gerusia auf den Greek Imperials Kleinasiens publiziert hat.

Es ist unmöglich, die gehaltvolle und außerordentlich komplexe Arbeit von Frau Killen an dieser Stelle auch nur annähernd umfassend zu würdigen oder detailliert vorzustellen. Sie selbst, liebe Frau Killen, werden uns gleich einige Kostproben Ihrer tiefschürfenden Forschungen geben.

‹Parasemon› lässt sich als offizielles Stadtemblem oder Stadtwappen verstehen, das vorwiegend auf staatlichen Objekten zu finden ist. Das können z.B. Siegel, Münzen, staatlich kontrollierte Maße und Gewichte, aber auch Schilde, Amphoren und Tätowierungen von Staatssklaven sein. Ich weiß, liebe Frau Killen, dass Sie gegenüber dem Begriff des Wappens Vorbehalte haben, doch können sich die Menschen unserer Zeit am ehesten etwas unter diesem Begriff vorstellen. Münzen kommt bei Ihrer Untersuchung eine Schlüsselfunktion zu, da sie unbestreitbar staatliche Objekte sind und in vielen Fällen darüber Aufschluss geben können, ob es sich bei den Emblemen auf anderen Gegenständen um private oder staatliche Zeichen handelt. In Ihrer Arbeit haben Sie zunächst alle jene Gegenstände zusammengestellt, auf denen solche Embleme vorkommen.  Die Arbeit enthält eine Reihe wertvoller Einzelstudien zur Ikonographie der Parasema einzelner Städte, z.B. Athens, Prienes, Alabandas und Klazomenais. Besonders wertvoll ist ein Kapitel zur soziokulturellen Bedeutung derartiger städtischer Embleme. Darin betrachten sie diese unter der Fragestellung, welche Rolle sie bei einem historisch so bedeutsamen Phänomen wie Demokratisierung spielten, wie sie im Rahmen der Herausstellung und Bewahrung der eigenen Autonomie verwendet wurden,  wie sie in der zunehmenden Konkurrenz der Städte untereinander eingesetzt wurden, schließlich wie städtisches Prestige­denken in ihnen zum Ausdruck kommt und wie sie zur Schaffung einer kollektiven Identität beitrugen. Festzuhalten bleibt, dass in dieser Arbeit viele Jahre intensivster Forschungsarbeit auf höchstem Niveau stecken; überall ist der Erfolg fachübergreifender Methodik zu sehen, deren Beherrschung Sie mit dieser Arbeit mustergültig demonstriert haben.

Ich möchte es aber nicht versäumen, auf einen anderen Aspekt der Leistung von Frau Killen einzugehen und auch ein wenig davon sprechen, wie schwierig es heute geworden ist, den Weg zu gehen, den Frau Killen gegangen ist, und welche bewundernswerten Leistungen an Studien- und Lebensmanagement hinter einer solchen exzellenten numis­matisch-archäolo­gischen Arbeit stehen.

Ein grundlegendes Problem ist das zunehmend durch politische Ideologien verschiedenster Art chaotisierte deutsche Gymnasium. Immer weniger bietet es die alten Sprachen an, deren Beherrschung einst für gebildete Menschen eine Selbstverständlichkeit war. Immer weniger werden Schüler zu ihrem Erlernen ermuntert: Von bildungsfernen Politikern, deren Zahl sprunghaft angestiegen ist, wird Nutzlosigkeit konstatiert; ideologisierende Weltverbesserer halten Latein und Griechisch für Sprachen von Eliten, die beseitigt werden müssen; den Schülern wird eingeredet, beide Sprache erforderten viel Arbeit und Einsatz und brächten wenig ‹fun›. Deshalb kommen nur noch wenige Studenten zu uns an die Universität, die durch die bereits vorhandene Beherr­schung von Latein und Griechisch einen einfachen und damit erfolgreichen Einstieg in Alte Geschichte und Klassische Archäologie haben. Eine Arbeit von der Qualität, wie Frau Killen sie geschrieben hat, kann ohne den sicheren Umgang mit diesen beiden Sprachen nicht entstehen und den erwirbt man am Besten auf dem Gymnasium.

Die mit unzureichenden Grundkenntnissen an die Universitäten kommenden Studenten werden dann mit der bolognisierten Universität konfrontiert. Dies macht es guten und leistungswilligen Studenten immer schwerer, spezifische Interessen zu pflegen und sich in dem Wust von Pflichtscheinen und Reglements auch noch der Numismatik zuzuwenden. Ein Studium der Numismatik ist an deutschen Universitäten nur noch an ganz wenigen Plätzen möglich, da mehrere numismatische Studienstätten in Deutschland eingegangen sind bzw. willentlich vernichtet wurden. Daran haben nicht zuletzt jene einstmals mächtigen Inter­essens­cliquen schuld, die die Identität der Alten Geschichte in der hemmungs­losen Förderung ihrer Schüler sahen, und Numismatik und andere Grund­wissenschaften unseres Faches als Alteritäten abstempelten, die von Positivisten und Hilfswissenschaftlern betrieben werden. Es ist für Frau Killen und für uns ein Glück gewesen, dass Herr Salzmann trotz dieser Großwetterlage seine numismatischen Studien unbeirrt fortgeführt und erfolgreich betrieben hat.

Hat sich dann jemand wie Frau Killen allen Hindernissen zum Trotz dennoch für eine numismatische Arbeit entschieden, wird er schon bald mit anderen Schwierigkeiten konfrontiert. Ein Numismatiker kann ohne eine möglichst vollständige Sammlung des weitverstreuten Materials keine neuen Kenntnisse gewinnen. Ohne Bilder von den Objekten kann er seine Arbeit nicht publizieren. Viele teure Reisen zu Museen und Sammlern sind unvermeidbar. Allein schon dieses Geld aufzutreiben, ist schwierig geworden, da es mittlerweile eine Unmenge an Promotionsstudenten an deutschen Universitäten gibt, die sich um die knappen Stipendien balgen. Doktorväter scharen in Zehnerscharen promo­tions­willige Studenten um sich. Es geht ihnen dabei weniger um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses – wäre das ihr Ziel, könnten sie solche Heerscharen von exzellenten Leuten gar nicht finden und erst recht nicht promotionsgerecht betreuen –, sondern um Zahlen in ihrer vermeintlichen Leistungs­­bilanz und um das blecherne Etikett der Exzellenzuniversität.

Und dann das Verhalten der Museen: Heutzutage verlangen immer mehr dieser Sammlungsstätten, die in besonderem Maße der Wissenschaft dienen sollten, von den armen Doktoranden oder anderen Forschern viel Geld für Photos und deren Publikationserlaubnis. Wenn dieses Verhalten wissenschaftliche Arbeiten nicht völlig unmöglich macht, so schrecken diese Forderungen in jedem Fall ab.

Und dann gibt es da noch eine Gruppe selbsternannter Moralisten, die Wissen­schaftlern die Verwendung von Objekten verbieten wollen, die im Handel in öffentlichen Auktionen versteigert wurden oder die sich in Privat­besitz be­finden. Ihre Begründungen dafür sind teilweise ehrenrührig, teilweise erfüllen sie bereits den Tatbestand der üblen Nachrede. Diese rührigen Weltkulturschützer übersehen dabei, dass wir alle unsere Museen vollkommen leerräumen könnten, wenn wir Objekte, die in Privatbesitz waren, wieder an ihre Ursprungsorte zurückbringen wollten. Tiefergehende Ahnung von europäischer Wissenschafts- und Museums­geschichte scheinen sie konsequent zu vermeiden.

Und was erwartet den erfolgreichen Forscher dann, wenn er alle diese Schwierigkeiten gemeistert hat? Oft nichts anderes als die Arbeitslosigkeit. An deutschen Universitäten gibt es kaum noch Stellen für Numismatiker, hin und wieder solche, die so schlecht bezahlt sind, das man sich mit dem gezahlten Salaire nicht einmal selbst durchschlagen, geschweige denn eine Familie gründen kann.

Wir können froh, dass Frau Killens Fähigkeiten im Ausland erkannt und mit einer zeitlich befristeten Stelle an der Universität Louvain-la-Neuve belohnt wurden. Wir wünschen, dass es ihr gelingt, daran anschließend eine weitere Arbeitsmöglichkeit in ihrem Fach zu finden bzw. irgendwo eine Lebensstellung zu ergattern. Wir benötigen in Deutschland, die wenigen uns noch verbliebenen Numismatiker. Wir können auf keinen von ihnen verzichten, vor allem dann nicht, wenn sie ein solches wissenschaftliches Potential aufweisen.

Lassen Sie mich am Ende meiner Vorstellung noch einen positiven Ausblick in dieses recht düstere Bild hineintragen. München ist immer noch ein Platz, wo die Numismatik eine komfortable Heimstatt hat. Die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik, das Haus für das ich stehe, hat seit seiner Gründung immer einen Numismatiker beschäftigt. Wir haben konsequent numismatische Studien gefördert und selber betrieben — und sind damit auch recht erfolgreich. Auch Frau Killen hat das erfahren, als sie für einige Jahre an der Kommission als Hilfskraft gearbeitet hat. Auch die Alte Geschichte der Ludwig Maximilians-Universität bietet numismatische Kurse an; ich selber habe in meinen Vorlesungen immer wieder die Bedeutung der Numismatik für historische Erkenntnis herausgestellt und bin dabei auf viel Interesse und Zustimmung gestoßen. Es gibt ein großes Interesse an Münzen und Geld, an seiner historischen Wirkkraft und seiner Ästhetik. Das Münzkabinett hat stetig numismatische Arbeiten angeregt und unterstützt. Sein Direktor, Dieter Klose, hat von den Wissenschaftlern für wissenschaftliche Arbeiten niemals Geld gefordert, sondern allen ernsthaften Forschern in generösester Weise Zugang zu den Objekten seines Hauses gewährt.

Der Münzhandel in München ist ein großer Förderer von Nachwuchswissen­schaftlern und wissenschaftlichen Publika­tionen; ich kann die vielen Publikationen nicht aufzählen, die erst durch das Mäzenatentums des Handels möglich geworden sind. Nicht wenigen Numismatikern bietet er Arbeit und Brot.

Die vielen Sammler in München und Umgebung haben sich niemals wissenschaftlichen Projekten in den Weg gestellt, sondern den Forschern die wissenschaftliche Auswertung der von ihnen gesammelten Münzen erlaubt. So manchem Wissenschaftler haben sie in Gesprächen wertvolle Einsichten vermittelt.

Kurzum, München zeigt, dass auch in schwierigen Zeiten die traditionsreiche Zusammenarbeit aller an Numismatik Interessierter fortsetzbar ist, und deshalb wollen wir es auch als eine Anerkennung der Münchener Numismatik verstehen, dass Ihnen, liebe Frau Killen, der Walter Hävernick Preis hier in München verliehen wird. Wir hoffen und wünschen, dass Sie die Numismatik und die gesamten Klassischen Altertumswissenschaften mit weiteren schönen Studien bereichern werden.